Stiftung

Im Jahre 2009 wurde eine wohltätige Einrichtung der Stadt Aken (Elbe) 400 Jahre alt.

Die Hortich-Stiftung.

Sie geht auf den Prediger Kilian Hortich zurück, der 1606 als zweiter Pfarrer (Diakon) an die Marienkirche kam. Nach dem Tod des Pfarrers Johann Pflugmacher 1611 rückte er gegen den Willen des Stadtrates auf Befehl des Magdeburger Domdechanten an dessen Stelle, was zu immerwährenden heftigen Auseinandersetzungen mit der Stadtgemeinde führte, die sich um ihr Selbstbestimmungsrecht betrogen fühlte. 1618 verließ Hortich Aken, laut der Bruno-Chronik von 1711 wurde er ins Exil verwiesen.

Um so erstaunlicher ist es bei all diesen Widrigkeiten, dass Hortich sich im Jahre 1609 mit einem Sendschreiben an die Akener Bürgerschaft und die Gemeindemitglieder wandte mit der Anregung zur Stiftung eines Stipendiums. Dieses Sendschreiben gab er sieben Jahre später in einer gedruckten Schrift unter dem klangvollen Titel heraus:

Ein guter Antreiber
Das ist/
Ein Auserlesen
Compendium und guter Rath/
Wie man mit wenig Gelde ohn einiges
Menschen beschwerung und Wiederwillen
in der Stadt Acken an der Elbe gelegen/ im Erzstifte
Magdeburg/ ein immer werent Stipendium für
die studirende Jugend hat auffgericht und
angefangen/ den 8. Julii, war der
Tag Chiliani Anno 1609.
Gott dem Allmächtigen allein
Lob und Ehren/ zur erbauung der christ-
lichen Kirchen/ zur erhaltung der Stände und zu
sonderlichen Nutz unnd Frommen allen Bürgers-
Kindern und derselben Nachkommen in Acken/
welche ihr Geldt zum Stipendio
haben eingelegt/
Gestelt und zu wegen gebracht
Durch
M.(agilster) CHILIANUM HORTICH
von Dalen/ Pfarrern zu Acken.
Gedruckt zu Wittenberg/ bey Johann
German/ im Jahr 1616.

Dieses etwa 360 Seiten starke Buch im Format 9,5 X 15,5 cm befindet sich in Privatbesitz und dürfte das einzig noch existierende Exemplar sein. Obwohl Seiten fehlen, befindet es sich für sein hohes Alter noch in einem relativ guten Zustand.
Hier entfaltet Hortich sein Anliegen zur Gründung einer Stipendienstiftung in Aken.

Im Vorwort, dem bereits einige Seiten abhanden gekommen sind, führt Hortich aus, dass er selbst 6 Jahre lang als Stipendiat des Kurfürstlichen Hauses von Sachsen auf der Fürstenschule zu Meißen habe studieren dürfen. Nun will Hortich aus Dankbarkeit auch den Akener Bürgersöhnen dieselbe Möglichkeit des Studiums eröffnen. Durch Zusammenlegen von Talern über viele Jahre durch Akener Bürger dürfte nach Hortichs Vorschlag das nötige Stiftungskapital zusammenkommen, von dessen Zinsen man die Stipendien auszahlen kann.
Hortich wolle mit diesem Stipendium auch ein dankbares Gedächtnis stiften an die Familien Stisser und Soldstein, die ihm 5 Jahre lang als Pfarrer zu Halle und 9 Jahre als Pfarrer zu Aken Freund und Gönner gewesen waren. Das Buch sei nicht für gelehrte Leute bestimmt, so Hortich, sondern für die einfache Bürger, weshalb es nicht in der Gelehrtensprache Latein, sondern in Deutsch abgefasst sei. Es enthalte einen langen Brief an die Gemeindeglieder von Aken, der nun durch Druck zur Nachahmung der Öffentlichkeit vorgestellt wird und klären soll, was ein Stipendium ist. Gegeben zu Aken am Kilianstag 1615, demnach am 8. Juli, dem Namenstag von Kilian Hortich.

Es folgen nun drei leider unvollständige Carmina Dedicatoria, das sind lateinische Widmungsgedichte auf die Gönner Hortichs, im einzelnen der Kurfürst von Sachsen, jene Akener Bürger, welche durch ihre Spende der Stiftung zum Leben verhalfen und an den Kanzler und Hofrat Kilian Stisser.
Eine Censura, also ein Empfehlungsschreiben für das Buch durch den Dekan der theologischen Fakultät der Universität Wittenberg Dr. theol. Wolfgang Franz, schließt sich an.

„Denen Ehrenvesten/ Erbarn/ Wohlweisen/ Wolgeachteten unnd Fürsichtigen Herrn Bürgermeistern/ Cämmerern/ Racemannen/ und allen der Stadt Acken Einwohnenden Bürgern/ meinen großgünstigen Herrn Gefattern/ guten Freunden und auserwelten lieben Pfarrkinder in Christo Jesu dem Herrn,“ adressiert Hortich sein Schreiben an „die Christliche Gemeine zu Acken.“ Und so redet er sie an: „Ehrenveste/ Erbare/ Wolgeachte unnd Fürsichtige Großgünstige Herrn Gefattern/ gute Freunde/ und Auserwelte liebe Pfarrkinder in Christo Jesu dem Herrn.“

Die gesamte Weltgeschichte bemühend, begründet Hortich sein Werben um die Notwendigkeit und Bedeutung eines Stipendiums mit ausführlichen Geschichten, Anekdoten und langatmigen Abhandlungen aus der Welt der Bibel, der alten Griechen und Römer, so wie des Mittelalters und der Reformation.
Ein eigenes Register am Ende seines Buches gibt mit genauer Seitenzahl Auskunft, wo die Geschichten in seinen Darlegungen zu finden sind. Leider ist auch dieses Register nicht mehr vollständig.

Hortichs Gedankengang ist verhältnismäßig einfach: Vom Paradiese, so schreibt er an die Akener, gehen vier Lebensströme aus. Es sind die Ströme der Wissenschaft und der Bildung, aus denen es zu schöpfen gilt. Durch Wissenschaft und Bildung ehrt man Gott und sein Geschöpf dem Menschen, indem man dem Gemeinwohl nützt durch die Heranbildung tüchtiger Prediger, Juristen, Schreiber, Ökonomen, Ärzte und Lehrer. Da Begabung und Wissen aber nicht an einen bestimmten Stand gebunden sind, gibt es Stipendien und großzügige Gönner, welche den wenig oder gar nicht Begüterten die Quellen der Wissenschaft zum Nutzen aller erschließen.
Weil der Teufel weiß, dass die Übung in Bildung und Wissenschaft ein Gott wohlgefälliges Werk ist, sucht er die Gründung und Förderung von Schulen und Ausbildungsstätten durch drückende Armut Begabter, so wie durch den Geiz und die Trägheit der Menschen zu verhindern. Dem gilt es mit Entschiedenheit entgegenzutreten.

Der Teufel weiß auch, dass die Bildung und Förderung von Tüchtigen aus Bettlern Herrn machen kann, Herren, die nicht herrschen und unterdrücken, sondern mit ihrem Wissen der Allgemeinheit dienen.
Genau aber dies sucht er zu verhindern. Doch gibt es genug Beispiele aus der Bibel und der Geschichte, dass kluge Kinder aus armen Verhältnissen zu Bildung und Studium ausgesondert und vielen zum Segen wurden. Ohne eine solche Aussonderung Begabter könnte das Gemeinwesen gar nicht bestehen.
Hortich erinnert sich dankbar daran, dass ihm als Sohn armer Leute durch den Kurfürsten von Sachsen eine Ausbildung auf der Fürstenschule zu Meißen und später ein Studium an den Universitäten Leipzig und Wittenberg ermöglicht wurde. Diese Erfahrung möchte er weitergeben.

Stipendienstiftungen findet Hortich in vielen großen und kleinen Städten, nur in dem angesehenen und wohlhabenden Aken nicht, obwohl es hier viele begabte und lernwillig Kinder gibt, denen die Mittel zum Studium fehlen. So schlägt Hortich vor, dass sich zu Aken eine nötige Anzahl von Bürgern zusammenschließt, die jährlich einen Taler einzahlen, bis sich ein Kapital von etwa 600 Talern angesammelt hat, aus dessen Zinsertrag Stipendien vornehmlich an die Kinder und Nachkommen der Einzahler ausgeschüttet werden können. Sie kommen als Kapitalstifter auch dann in den Genuss eines Stipendiums, wenn sie und ihre Nachkommen nicht mehr in Aken leben. Sollte es in der Reihe der Einzahlerfamilien keinen Studienwilligen geben, kann das Stipendium an Begabte außerhalb des Kreises weitergegeben werden, oder man legt die eingesparte Stipendiensumme zinsbringend zum Stiftungskapital. Sollten aber in einer Spenderfamilie mehrere Studienwillige sein, mögen sie sich in das Stipendium teilen oder das Los entscheidet, wer es erhalten wird.
Damit kein Streit entsteht, und die Gelder richtig verwaltet werden, wird ein Gremium von vier Männern als Vorstand aus dem Kreis der Stifter gewählt (Vierherrn). Den Vorsitz dieses Viermännergremiums führt von Amtswegen der jeweilige erste Pfarrer der Marienkirche, der auch die Rechnungen zu führen und die Akten zu verwahren hat. Dieser Viermännerrat trifft sich einmal im Jahr zum Namenstag des Kilian Hortich, den 8. Juli, zu einem sogenannten Convivium, also einem Gastmahl, das der Pfarrer auf Kosten der Stiftung auszurichten hat. Bei diesem Convivium werden die Stipendien verteilt und über Neuaufnahmen von Stipendiaten beschlossen. Das Stiftungskapital wird treuhänderisch beim Rat der Stadt hinterlegt.
Für ihre Mühe bekommen die Viermänner eine Aufwandsentschädigung, deren Höhe sich nach der Finanzlage der Stiftung richtet.

Als Stipendiaten kommen nur unbescholtene Personen lutherischer Konfession in Frage.
Ein Taler pro Jahr für eine so gute Sache ist nicht zu viel verlangt, argumentiert Hortich, bedenkt man wie viele Taler pro Jahr in Aken sinnlos „versoffen, verfressen und verspielt werden.“
Wer sein Geld in die Stiftung einlegt, macht sich einen ewigen Namen, dient dazu noch seinen eigenen Kindern und deren Nachkommen, sagt Hortich, denn Stipendien verpflichten zur dankbaren Erinnerung an den Wohltäter, und wer nichts gibt, stirbt unbekannt, weil Geiz eng und einsam macht, Freigiebigkeit aber weit und großzügig.
Es ist klar, dass niemand zum Beitritt genötigt werden kann. Um so herzlicher die Einladung. Damit die Stifter und Begründer des Stipendiums nicht in Vergessenheit geraten, sollen ihre Namen ungeachtet ihres Standes, Vermögens und Ansehens alphabetisch geordnet auf ein Pergament geschrieben werden, das in einer Lade im Gewölbe der Kirche aufzubewahren ist. – Gegeben zu Aken am Kilianstage, den 8., Juli 1609.

Ein sog. Artickel des Stipendiums, also eine Satzung der Stiftung, schließt sich an, welche die Gedanken Hortichs zur Stiftungsorganisation wiederholt und um einige Details erweitert. Näheres finden Sie unter Satzung .

In Hortichs Buch sind die ersten Viermänner bereits gewählt worden. Es handelt sich um Moritz StoßnackWilhelm LohsHeinrich Pieler und Johannes Meth . So sie sich nichts zuschulden kommen lassen, gehören sie dem Gremium auf Lebenszeit an. Scheidet einer durch Tod aus, so muss das Viermännergremium ein Mitglied aus der Reihe der Stifterfamilien nachwählen, denn untere der Ziffer II der Satzung heißt es:
„Würde auch einer von denselben Vier Herren versterben, als sol der Pfarrer nach verlaufener Monatsfrist die anderen drey Vier Herren zusammen lassen fördern, und durch derselbigen einhelligen Rath, einen anderen unter unseren Geschlechtern, der ehrlichen Lebens und wandels, auch nicht Geitzig und Eigensüchtig ist, dazu erwehlen.“

Es folgt die Liste der Ersteinzahler, dann das amtliche Genehmigungsgesuch für die Stiftung, die sog. Supplication an den Administrator des Erzbistums Magdeburg Markgraf Christian Wilhelm von Brandenburg und an Ludwig Jochow dem Magdeburger Domdechanten, beide als Stadtherren von Aken. Sie führen auch die Aufsicht über die Stiftung. In der damals üblichen ausschweifenden Sprache des Barock weist Hortich in beiden Schreiben darauf hin, dass den Herren die Hebung von Bildung und Schule, die sich im Augenblick in einem kläglichen Zustand befinden schon immer eine Herzensangelegenheit gewesen sei, wozu das neue Stipendium eine willkommene Hilfe bieten könnte.
Die Bestätigung, die Confimatio der Landes- und Stadtherren ist dem Buch beigefügt, so wie zur Orientierung der Stipendiaten eine Liste der Kapazitäten und Beschickungsberechtigten für die Fürstenschulen von Grimma, Schulpforta und Meißen.
Erste lateinische Dankgedichte auf den Stifter Hortich und das bereits erwähnte Zitatenregister schließen das Buch ab.

Der wichtigste Grundbesitz der Stiftung war die Stipendienhufe, die 1684 erworben wurde. Sie befand sich in Richtung Kühren beiderseits der Calber Landstraße, die damals „die Trift“ genannt wurde. Die Hufe bestand aus 6 ha und 62 ar Land und Wald.
Am 11. November 1714, dem Martinstag, entbrannte ein heftiger Streit zwischen dem Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. und der Hortich-Stiftung. Der König hatte schwäbische Kolonisten nach Aken gezogen. Die Kolonistenkommission wies ohne Rücksprache mit dem Eigentümer die Stipendienhufe zu und kümmerte sich nicht um die Eintreibung der Pachtzinsen. Die Auseinandersetzung muß sehr scharf geführt worden sein, denn in den Jahren 1717/18 drohte der König mit einer Zwangsenteignung der Hufe. Doch im Juli 1718 kam es zu einem Vergleich und seit dem 12. März 1719 erfolgten endlich regelmäßige Pachtzahlungen.
Die Namen der schwäbischen Erstpächter sind bekannt: Johann Michael WegmannMatthias WeckerleJohann Jacob KellerMatthias SteinleHans Jürge BirckPeter Mannß , Joseph Weiß, Johann Kutter ,  Joseph Notze, Hans Jürge Notze, Mathias Hildebrandt und Benediktus Weckerle.
Um die Pachthöhe und um die Versteuerung der Ernte- und Holzeinkünfte hat es ebenfalls immer wieder Prozesse zwischen der Stiftung und den Pächtern gegeben. Hohe Grundsteuen forderte auch das Königreich Westfalen zu Napoleons Zeiten und der preußische Staat nach den Befreiungskriegen von 1813 von der Stiftung, die unter den Steuerlasten nahezu zum Erliegen gekommen wäre.

Schwierigkeiten bereitete der Stiftung auch die Regelung der Einkaufsstipendien. Sie wurden von dem Viermännergremium der Stiftung in der Regel nicht für stiftungsgemäß gehalten, aber von der Aufsichtbehörde öfter zu Ungunsten der Erbstipendiaten durchgesetzt, das wiederum das Viermännergremium der einseitigen Begünstigung ihrer Familien bezichtigte. So führte der Erbstipendiat Daniel Krenkel 1709 einen Prozess gegen die Aufsichtsbehörde, weil das ihm zustehende Erbstipendium gekürzt wurde, um die Ansprüche eines Einkaufsstipendiaten befriedigen zu können. Aufgrund dieser Misere stiftete der aus Aken stammende wohlhabende Berliner Kaufmann Tobias Bössel 1725 die Zinsen seines hinterlassenen Kapitals von 2.500.- Talern zu einem mehrjährigen Stipendium an der Universität Halle ausschließlich für die Nachkommen ausgesuchter Akener Bürgerfamilien geringen Einkommens.
Als erste Stipendiaten bestimmte Bössel selber Johann Carl Müller, ältester Sohn des Akener Kauf- und Handeslmannes Johann Jacob Müller, Johann Ernst Geister, Sohn eines Glasermeisters und Tobias Carl Goetzke, Sohn des Akener Apothekers. Die Stiftungsurkunde ist in der Kurzen Nachricht der Hortich-Stiftung von 1807 abgedruckt.

Die Stiftungsaufsicht hatte nach den kirchlichen Behörden des Erzstiftes Magdeburg das spätere dortige Konsistorium. Im Zuge einer preußischen Verwaltungsreform kam die Stiftungsaufsicht 1816 an das Vormundschaftsgericht, das sich die Zulassung für das Erbstipendium durch Familienurkunden und Stammbäumen belegen ließ. Auch eine Zulassung zum Universitätsstudium musste vorgelegt werden.

Die Hortich-Stiftung konnte während der DDR-Zeit nicht wirksam werden und musste ruhen. In dieser Zeit fanden keine Beratungen der Vierherrn statt, das Vermögen wurde von der Kirche verwaltet.

Nach der Wende wurden wieder Kontakte zwischen Nachkommen der Stifter und der Kirche in Aken hergestellt. Auf der Grundlage der archivierten Unterlagen konnte die Stiftung auch formal reaktiviert werden. 2006 fand die erste Sitzung der Vierherrn nach der Ruhepause statt.

Heute verfügt die Stiftung über knapp 6 ha Land und ein so geringes Barvermögen, dass man aus der Pacht und den Zinsen einem Stipendiaten ein geringes jährliches Stipendium zukommen lassen kann.